Kafka´s Messetagebuch - HANNOVER MESSE 2022, Teil 4/4

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Gerhard Kafka arbeitet als freier Fachjournalist für Telekommunikation in Egling bei München.

 

Fossile Brennstoffe raus – Wasserstoff rein

Wasserstoff könnte in Zukunft als nachhaltige Alternative überall dort zum Einsatz kommen, wo heute Benzin, Diesel, Kerosin oder Schweröl verbrannt werden. Wasserstoff wird ein unverzichtbarer Baustein für eine erfolgreiche Energie- und Antriebswende sein. Das unerschöpfliche Medium Wasserstoff bringt sehr viele Vorteile mit sich. So hat er mit 33,33 kWh/kg den höchsten Energiegehalt aller bisher bekannten Kraftstoffe. Durch die Verfügbarkeit von Wasserstoff in fast jedem Bereich der Erde und seine Herstellung, kann die Rohstoffabhängigkeit bei Treibstoffen neu gedacht werden. Stadtwerken z. B. wäre es künftig möglich, den von ihnen genutzten Wasserstoff selbst herzustellen und ihn auch direkt selbst zu nutzen. Dabei verbrennt Wasserstoff absolut emissionsfrei - am Ende entweicht nur harmloser Wasserdampf. Gleich drei Hallen 11 bis 13 widmeten sich zukunftsorientierten Energielösungen mit dem Fokus auf Wasserstoff und den damit verbundenen Brennstoffzellen. Und wer soll den Wasserstoff-Verbrenner nutzen?

Die EVS | Hydrogen vertritt die Meinung, dass es für industrielle Antriebstechniken wichtig ist eine Technologie zu verwenden, die den bestehenden Lösungen sehr ähnlich ist. Neue emissionslose Motorentechnik muss sich deshalb in vorhandene Antriebssysteme vollständig integrieren lassen. Aber EVS | Hydrogen verwendet für die Verbrennung von Wasserstoff nicht das übliche Hubkolbenprinzip, sondern es kommt ein rotierendes Motorprinzip zum Tragen, durch das sich viele Vorteile ergeben. Ein drehmomentgeregelter Betrieb, wie bei einem konventionellen Dieselmotor, ist damit jederzeit möglich. Der Einsatz des EVS Wasserstoffmotors funktioniert auch in motorischen Anwendungen, in denen der Betrieb von Brennstoffzellen keinen Sinn macht. Mit einer Leistung von 5 – 100 KW in einer kompakten Bauform ist das Anwendungsfeld fast grenzenlos. Beispiele sind Baumaschinen, Offroad-Antriebe, BHKWs oder auch die Strom-Generatorfunktion in Range Extendern für den E-Fahrzeugbau. Die Anwendung in Baumaschinen ist erst der Anfang. Denn Wasserstoff kann auch Fahrzeuge zu Lande, Wasser und Luft antreiben, wie viele Aussteller demonstrierten.

Wie schon zuvor bei den Awards erwähnt bietet FAUN unter der neuen Marke ENGINIUS als einer der ersten Anbieter weltweit Lastkraftwagen mit Wasserstoffantrieb in Serie an. Auf der Messe zeigte das DLR ein Lastenrad mit Brennstoffzellen-Antrieb, das vor allem bei der Zustellung von Paketen in Innenstädten zum Einsatz kommen soll. Es bietet im Vergleich zu anderen Antriebstechnologien wie Batterien eine wesentlich höhere Reichweite von 150 Kilometern pro Tankfüllung, eine längere tägliche Nutzungsdauer und kurze Tankzeiten von rund drei Minuten. Im Übrigen entwickelt das DLR sowohl spezielle Brennstoffzellen als auch neuartige Wasserstofftanks für den mobilen Einsatz und integriert sie in die jeweiligen Gesamtsysteme, seien es Autos, Busse, Lastwagen, (Lasten-) Fahrräder, Züge, Flugzeuge oder Schiffe.

Gemeinsam mit den Partnern PowerCell (Wasserstoff-Brennstoffzelle), Fraunhofer (Hochspannungsanwendungen), COTESA (Wasserstoffspeicherlösungen) und HEGGEMANN (Wasserstoffversorgungs- und Sicherheitssysteme) entwickelt Apus Zero Emission zertifizierte Antriebseinheiten für emissionsfreie Luftverkehrsanwendungen. In enger Zusammenarbeit mit Rolls-Royce entwickelt Apus einen zuverlässigen Zertifizierungsplan für Hybrid-Elektro-Antriebsstränge. Im Jahr 2014 wurde die Apus Group von 3 Luftfahrtingenieuren gegründet, um diverse Dienstleistungen im Bereich der Luftfahrt anzubieten. Ein Ziel ist es, den Luftverkehr zu 100 Prozent emissionsfrei und kompromisslos klimaneutral zu gestalten - mit grünem Wasserstoff als Energieträger.

Bei meinem Messerundgang habe ich gelernt, dass auch eine Farbenlehre Wasserstoff existiert. Für alle Interessierten hier eine kurze Zusammenfassung. Generell ist Wasserstoff immer ein farbloses Gas. Je nach seinem Ursprung trägt er allerdings verschiedene Farben in seinem Namen.

  • Grüner Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Dafür wird Strom aus erneuerbaren Energiequellen verwendet. Grüner Wasserstoff ist deshalb CO2-frei
  • Grauer Wasserstoff wird mittels Dampfreformierung meist aus fossilem Erdgas hergestellt. Dabei entstehen rund 10 Tonnen CO2 pro Tonne Wasserstoff. Das CO2 wird in die Atmosphäre abgegeben
  • Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff, bei dessen Entstehung das CO2 jedoch teilweise abgeschieden und im Erdboden gespeichert wird (CCS, Carbon Capture and Storage). Maximal 90 Prozent des CO2 sind speicherbar
  • Türkiser Wasserstoff ist Wasserstoff, der über die thermische Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) hergestellt wird. Anstelle von CO2 entsteht dabei fester Kohlenstoff. Das Verfahren der Methanpyrolyse befindet sich derzeit noch in der Entwicklung
  • Violetter und gelber Wasserstoff wie beim grünen Wasserstoff wird auch bei diesen beiden Varianten H2 durch Wasserelektrolyse mithilfe von Strom hergestellt. Beim gelben Wasserstoff geschieht dieses durch einen Strommix, beim violetten ausschließlich durch Atomstrom
  • Brauner Wasserstoff entsteht durch Vergasung von Kohle
  • Weißer Wasserstoff Natürlich vorkommende Wasserstoff. Fällt auch bei bestimmten Prozessen in Chemieanlagen als Nebenprodukt an
  • Oranger Wasserstoff entsteht durch Gewinnung aus Biomasse oder übergangsweise mit Strom aus Müllheizkraftwerken
  • Schwarzer Wasserstoff wird mittels Steinkohle erzeugt.

 

Fraunhofer-Gesellschaft gewährt Einblick in die anwendungsorientierte Forschung

Bei mehr als 2.500 Ausstellern gäbe es noch viel zu berichten, auch weil ich an meinen vier Besuchstagen der HANNOVER MESSE sehr viel Interessantes gesehen habe. Überraschend war für mich, dass man hier dem Thema Forschung sehr viel Raum geboten hat. Natürlich war auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung selbst mit einem großen Stand präsent. Eine Einladung zu einem geführten Standrundgang für die Presse auf dem Gemeinschaftsstand der Fraunhofer Gesellschaft habe ich gerne angenommen. Quasi im Zeitraffer wurden die Highlights von den jeweiligen Experten kurz und verständlich erklärt.

Fraunhofer fokussiert sich auf zukunftsrelevante Schlüsseltechnologien sowie auf die Verwertung der Ergebnisse in Wirtschaft und Industrie. Die 1949 gegründete Organisation betreibt in Deutschland derzeit 76 Institute und Forschungseinrichtungen. Mehr als 30 000 Mitarbeitende, überwiegend mit natur- oder ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung, erarbeiten das jährliche Forschungsvolumen von 2,9 Milliarden Euro. Davon entfallen 2,5 Milliarden Euro auf den Bereich Vertragsforschung. Auf dem Gemeinschaftsstand waren folgende Institute vertreten: CCIT, IST, FOKUS, IGD, LBF, IDMT, IEM, IESE, IIS, ILT, IOF, IOSB, IPT, IWS und IWU.

Insbesondere IWU hatte einen starken Auftritt: Die »Referenzfabrik.H2«, intelligente Maschinenkomponenten in adaptiven Prozessketten, Mensch-Roboter-Interaktion und Softrobotik zeigten Lösungsräume für industriellen grünen Wasserstoff, die Fabrik der Zukunft sowie Haushalt und Pflege auf. Im Fokus der erstmal gezeigten Referenzfabrik.H2 stehen Technologien, die eine industrielle Produktion mit erheblichen Fortschritten bei Verfahren, Digitalisierung und Kosten ermöglichen sollen. Dr. Ulrike Beyer, Leiterin der Wasserstoff-Taskforce am Fraunhofer- Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU und Koordinatorin des Projekts: „Die Produktion muss einen entscheidenden Beitrag leisten, um dem Wasserstoff zum Durchbruch zu verhelfen. Genau daran arbeiten wir in der Referenzfabrik. H2.“ Für diese Herausforderung stehen Bundesmittel in Höhe von insgesamt 30 Millionen Euro zur Verfügung. Die Referenzfabrik.H2 wurde auf der HANNOVER MESSE erstmals gezeigt

Der Bereich »Human Robot Collaboration« demonstrierte Einsatzpotentiale und Sicherheitsaspekte von technischen Systemen. Das Exponat Interaction zeigte eindrucksvoll, wie mittels Gesten und Sprachbefehle die Programmierung eines Roboters intuitiv durch den Menschen erfolgen kann. Somit können Roboter zukünftig flexibler durch eine größere Bandbreite an beschäftigtem Personal genutzt werden. Mit einem intelligenten Schleifsystem wird erstmalig die Bearbeitung komplexer gummiartiger Werkstoffe im RoboGrinder mechanisiert. Es ermöglicht die Automatisierung der Produktion komplex konturierter Ummantelungsrollen – die bisher ausschließlich händisch ablief.

Transparente Objekte haben ihre Tücken: Nicht umsonst kleben wir Silhouetten von Vögeln auf großflächige Glasfronten. Auch die Fähigkeiten von Robotern sind hier eingeschränkt: Sie können Glas oder andere sogenannte »unkooperative Oberflächen« – z. B. metallisch glänzende, stark spiegelnde oder tiefschwarze Oberflächen – nicht erkennen. Dieses Problem löst der »MWIR-3D-Sensor« – auch »Glass360Dgree« genannt – denn damit lassen sich Elemente mit spiegelnden oder Licht absorbierenden Oberflächen erstmals zuverlässig räumlich erfassen. Zu diesem Zweck vereint das System Infrarot-Laserprojektion und Thermografie: Nachdem das Messobjekt gezielt lokal erwärmt wurde, ermitteln zwei Wärmebildkameras die auf der Objektoberfläche resultierende Temperaturverteilung.

Automatisierte Fahrzeuge werden künftig die größte Veränderung im Bereich der Mobilität seit der Erfindung des Verbrennungsmotors darstellen. In absehbarer Zukunft werden Fahrzeuge vollständig autonom am Straßenverkehr teilnehmen. Das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF unterstützt Hersteller und Zulieferer bei der Entwicklung dieser Fahrzeuge mit Analysen der Systemzuverlässigkeit und Methoden zur Validierung virtueller Prototypen in Multiskalensimulationen. Alle relevanten Bauteile eines Fahrzeugs müssen zuverlässig funktionieren. Um diese Sicherheit zu gewährleisten, sollen die einzelnen Komponenten schon in der Entwurfsphase des Fahrzeugs umfassend und realistisch geprüft werden. Durch X-in-the-Loop (XiL) Tests der Sensoren wird es möglich, Fahrzeuge und Szenarien realitätsnah zu simulieren und die reale Komponente in ihrer Einsatzumgebung vorab zu testen. Mit simulationsbasiertem Testen lässt sich das Verhalten automatisierter Fahrfunktionen mit geringen Kosten und Risiken in vielen Verkehrssituationen erproben

Zuletzt standen wir vor dem 5G+ Nomadic Node, den ich bereits in meinem 5G-Bericht kurz erwähnt habe. Damit lässt sich ein nicht-öffentliches, temporäres Netz kurzfristig aufbauen, um z. B. Einsatzkräfte miteinander zu vernetzen oder Löschroboter fernzusteuern. Erwähnenswert ist aber noch, dass im nächsten Schritt geplant ist, den Nomadic Node um Open-RAN-Technologien zu erweitern. Im Lauf des Jahres wird er dann im Rahmen von CampusOS, einem Leitprojekt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, auch auf mobilen Baustellen eingesetzt.

 

Die nächste HANNOVER MESSE wird vom 17. bis 21. April 2023 ausgerichtet.

 

Dieser Beitrag erscheint in der Reihe: "BEL2 nachgefragt!". Lesen Sie HIER die weiteren Artikel von Gerhard Kafka!

 

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